Das Bundesteilhabegesetz und seine Folgen für Menschen mit Autismus - Webinar beim Kompetenzzentrum Autismus Schwaben-Nord
Augsburg, 02.07.2021 (pca). Seit 2017 kommt es mit der stufenweisen Einführung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) zu einem grundlegenden Wandel in der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung: Raus aus der Fürsorge, hin zu mehr Teilhabe, Eigenverantwortung und Selbständigkeit. Doch inwieweit profitieren Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung überhaupt von der neuen Gesetzesregelung? Und wo sind die Stolperfallen? Darüber informierte nun das Kompetenzzentrum Autismus Schwaben-Nord des Caritasverbandes für die Diözese Augsburg e. V. bei einem Webinar für Betroffene, Angehörige und Fachleute.
Bei einem ersten Vortrag - eine Fortsetzung wird im Herbst folgen - führte Regina Niedermair von der Stabstelle Sozialrecht im Diözesan-Caritasverband in die Grundlagen des BTHG ein. Die wichtigsten Ziele des Gesetzes, das in Folge der UN-Behindertenrechtskonvention entwickelt wurde, seien, so die Juristin, die betroffenen Menschen aus der Sozialhilfe herauszulösen, die Leistungen künftig gezielter an deren Bedürfnissen auszurichten und vor allem die "volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe" am gesellschaftlichen Leben. So wichtig dieses Ziel sei, in der Praxis "ist man davon natürlich noch weit entfernt", betonte Sonja Jacobs vom Kompetenzzentrum. Voraussetzung, um sowohl sogenannte existenzsichernde Leistungen als auch Fachleistungen zu erhalten, sei natürlich nach wie vor die entsprechende Diagnose.
Eine grundsätzliche Hürde für Menschen mit Autismus bleibt jedoch bestehen: Alle Leistungen des BTHG müssen aktiv ausgewählt und beantragt werden. "Autisten machen vieles, aber sie stellen gewiss keine Anträge", machte ein Vater in der Diskussion das grundsätzliche Problem deutlich. Gerade dieser Schritt zur Teilhabe, die Kontaktaufnahme zu anderen, Behördenbesuche und so weiter, sei für Menschen mit Autismus höchst problematisch. Hier müssten entweder die Angehörigen oder ein Betreuer helfen, "aber was ist, wenn ein Betroffener niemanden hat?". Für Menschen mit Autismus sei es einfach hochgradig schwierig, sich die Leistungen, die das BTHG vorsieht, sozusagen einzukaufen - Unterstützung könne hier jedoch auch das Kompetenzzentrum bieten, betonte Sonja Jacobs.
Die Zunahme an Bürokratie beklagten auch weitere Diskussionsteilnehmer: Eine Mutter schilderte, wie sie fast über ein Jahr lang ärztliche Atteste, Gutachten der Kita und der Heilpädagogin einreichte, bis ihrem Sohn Schulbegleitung bewilligt wurde.
Ein weiteres Problem sei zudem nach wie vor die wechselnde Zuständigkeit, wenn ein autistischer Jugendlicher volljährig wird. Leistungsmerkmale, die zuvor für den jungen Menschen galten, fallen dann mit dem Wechsel vom Jugendamt zum zuständigen Träger der Eingliederungshilfe (in Bayern sind dies die Bezirke) weg, meist müsse der ganze Antragsweg von vorne begangen werden. "Hier gibt es noch Nachbesserungsbedarf auf der Verwaltungsebene", bestätigte Regina Niedermair. Sie könne Angehörige und Betroffene nur dazu ermuntern, die Bescheide der Behörden gut zu prüfen und gegebenenfalls zu widersprechen. Wie auch Sonja Jacobs ergänzte, würde bei autistischen Menschen der Behinderungsgrad häufig sehr niedrig angesetzt. "Wir bieten für den Fall des Falles auch sehr gerne unsere Unterstützung an", verdeutlichten die beiden Fachfrauen von der Caritas. Ein Widerspruch sei zunächst kostenfrei und könne durchaus erfolgreich sein.